Stellenmarkt

Neue Freiheit der Selbstständigkeit

26. Juli 2022
von Marcus Schuster

Personalvermittler haben es derzeit nicht leicht: Immer mehr Talente wagen den Schritt in die Selbstständigkeit. 

Bei Suchanfragen von Unternehmen muss Headhunter Thomas Lüdeke neuerdings genau abwägen, ob diese erfüllbar sind. Das liegt nicht nur an den Nachwehen der Pandemie. »Die Erwartungshaltungen matchen nicht mehr«, sagt der Geschäftsführer der Düsseldorfer PRCC Personalberatung für die Kommunikations- und Marketingbranche. »Potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten wollen nicht mehr Geld oder mehr Urlaub – sondern einfach ihren Job, den sie gern machen, unter vernünftigen Bedingungen erfüllen.« Wo Belegschaften ohnehin am Limit seien, würden zwei Tage zusätzlicher Urlaub nur noch mehr Probleme schaffen. 

Hinzu kommt, dass selbst Menschen, die eigentlich ihren Traumjob haben, sich neu ausprobieren möchten. »Besonders im Alter zwischen 40 und 50 Jahren hinterfragen viele, was sie tun«, stellt Lüdeke fest. Doch auch in jüngeren Jahren hindern mehr Geld oder mehr Freizeit kaum noch jemanden daran, weiterzuziehen. Oder sich selbstständig zu machen. Das tun aktuell zumindest in der Kommunikationsbranche besonders viele Talente.

Selbstbestimmter Alltag

 »Freiberuflichkeit ist für mehr Menschen eine Option als vielleicht noch vor fünf Jahren«, sagt Linda Schipp. Sie hat sich 2021 selbstständig gemacht, nach zwei Jahren Festanstellung bei einer Agentur. Heute ist sie als Kinder- und Jugendbuchautorin sowie Kommunikatorin für Marken tätig. Speziell ihre Leidenschaft fürs Bücherschreiben sei mit dem Agenturleben nicht mehr vereinbar gewesen, sagt Schipp. Obwohl sie sich dort »pudelwohl« gefühlt habe, passe ihr neuer, selbstbestimmter Alltag besser zu ihr: »Ich bin besonders abends und nachts kreativ.« Insgesamt arbeite sie weniger als früher, »dafür sehr viel effizienter«. Und lukrativ sei es auch. Die Aufteilung zwischen ihren Tätigkeiten erfolgt nach Bedarf. »Ich erstelle immer Tages- und Wochenpläne nach Priorität und betrachte die Bucharbeit wie ein Kundenprojekt.« 

Der Schritt in die Selbstständigkeit funktioniere durchaus schon aus einer Juniorposition heraus, sagt die 28-Jährige. Man müsse nicht »fertig« sein – die Kernkompetenzen zu beherrschen, reiche. »Die Lernkurve ist auch in der Freiberuflichkeit nicht zu Ende.« 

Im Dialog bleiben

Eva-Maria Friese hat im März zusammen mit Markus Mayr die PR-Agentur Storypark gegründet. Zuvor war sie sechs Jahre lang beim Content-Marketing-Riesen ­Territory tätig. Weg von starren Biografien – das könnte für Unter­nehmen ein Schlüssel sein, Talente besser zu fördern, einzu­setzen und zu halten, sagt Friese. Nachdem sie mehrere Monate in Stockholm als Projektmanagerin für Territory gearbeitet hat, habe es sich nicht richtig angefühlt, wieder in ihren alten Job zurückzukehren. »Ich wollte noch einmal etwas anderes erleben.« In Schweden habe sie die Komfortzone verlassen und ihren Horizont erweitert. Aus einer Führungsposition ­heraus den Schritt zurückzugehen und in einem Projekt im Team zu arbeiten, em­pfehle sie jedem, sagt Friese. »Es gab mir eine andere Perspek­tive, weil ich zuvor recht schnell aufgestiegen war.«

Sie rät beiden Seiten, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, im ­Dialog zu bleiben. Darüber zu sprechen, was sich die Mitarbeitenden wünschen: die klassische Karriere oder eine bestimmte Weiterbildung? Im Unternehmen aufzusteigen oder lieber mehr Freizeit? »Solche Themen sind sehr individuell und nicht für vorgefertigte Lösungen geeignet.« Der klassische Dreischritt vom Junior zum Senior zum Head of sei nicht für jeden der richtige Weg. Junge Leute würden oft befördert, ohne adäquat ausge­bildet zu werden oder Mentoren an die Seite gestellt zu bekommen. Unternehmen müssten daher nicht nur disziplinarische Weiterentwicklung gewährleisten, sondern auch fachliche.