Auf den Spuren von Autor:innen

Literatur nacherleben!

30. April 2025
Nele Marggraf

Vom Buddenbrookhaus bis hin zu Stefan Zweigs Salzburg: Die Schauplätze der Literatur sind begehrte Reiseziele. Die Edition A · B · Fischer etwa macht Bücher für diese besondere Form des Tourismus.  

Salzburg mit Salzach

Stefan Zweig lebte 15 Jahre in Salzburg – diese Zeit gilt als die ­erfolgreichste seiner ­literarischen Laufbahn.

Immer mehr Leser:innen begeben sich auf die Spuren ihrer literarischen Held:innen und reisen zu jenen Orten, an ­denen Romane spielen oder Autor:innen gelebt und gearbeitet haben: "Wenn Leser:innen den ­Figuren aus ihren Lieblingsbüchern folgen, spricht man von Literaturtourismus", definiert Raphaela Knipp den Begriff in ihrer Dissertation "Begehbare Literatur. Eine ­literatur- und kulturwissenschaftliche Studie zum ­Literaturtourismus". Knipp betont, dass das Gemeinschaftserlebnis ein entscheidender Faktor sei: "Mich direkt am Schauplatz eines Romans mit anderen Lesern auszutauschen, ist etwas anderes, als allein mit meinem Buch im stillen Kämmerlein zu sitzen." Die Möglichkeit, das Gelesene in gewisser Weise körperlich nachzuerleben und den Protagonist:innen nahe sein zu können, stellt sie als wichtiges Motiv von Literaturreisenden heraus.

Atmosphärische Zeitreisen

Diesen Wunsch nimmt auch Ansgar Bach bei den Teilnehmer:innen seiner Reisegruppen wahr: "Die Leute möchten Literatur nicht nur auf dem Papier, sondern auch live ­erleben", sagt der Inhaber von Literarisch Reisen. Er differenziert hier zwischen zwei Möglichkeiten: "Man kann Städte und Orte besuchen, die mit einem speziellen Autor oder einem Buch in Verbindung stehen. Es kann erlebt werden, in welchem Café ein entsprechender Autor saß, wo er gewohnt hat, wie sein Netzwerk war und so weiter." Die andere Variante sei, dass man sich für den Ort und das allgemeine literarische Leben zu einer bestimmten Zeit interessiere – "da kommen ganz viele Schriftsteller:innen zum Tragen. Etwa wenn wir eine Jena- oder Weimarreise machen: Da geht es dann um mehr Literaten als ausschließlich um ­Goethe und Schiller."

Poetische Sachbücher

Die Edition A · B · Fischer hat aus exakt diesen beiden Varianten ein besonderes literarisches ­Angebot geschaffen. Fotografin Angelika Fischer und Autor und Buch­gestalter Bernd Erhard Fischer haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit ihren poetischen Sachbüchern "einen Kampf gegen das Vergessen" zu führen. Es gibt zwei Reihen: Die Titel von Menschen und Orte schildern Lebensorte von Künstler:innen und Schriftsteller:innen – "immer unmittelbar am Topos selbst: der Schreibtisch, die Bibliothek, die Küche, der Rasierpinsel des Dichters", so Bernd Fischer. "Autor:innen schreiben dann einen Essay über den Menschen an diesem Ort, meine Frau bebildert ihn mit sehr intimen Schwarz-Weiß-Fotogra­fien. Sie nennt das 'indirekte Porträts', die den Menschen wieder fühlbar machen."
 

Aus der Reihe Menschen und Orte der Edition A · B · Fischer: "Virginia Woolf in Rodmell".

Auf den Spuren der Held:innen

Die Reihe Wegmarken der Edition A · B · Fischer ist dagegen Künstler:innen gewidmet, bei denen eine Bindung zu einem bestimmten Land oder zu einer Stadt besteht: "Stefan Zweig und Salzburg etwa – man ist dann in der Stadt unterwegs und die Fotos dokumentieren die Spuren des Schriftstellers." Auf den 48 Seiten finden die Leser:innen zum Beispiel die Cafés, in denen Zweig Schach gespielt hat ("seine Villa gibt es auch noch, aber da kommt man nicht mehr rein") – und einen anspruchsvollen Essay über Zweig in seiner Stadt. 

Diese Art von Bindung ermöglicht einen neuen Zugang zur Literatur und macht die Held:innen erlebbar. Raphaela Knipp hat allerdings auch gegenteilige Erlebnisse im Buddenbrookhaus beobachtet, das in Thomas Manns Roman sehr detailliert beschrieben wird: "Viele sind regelrecht enttäuscht, wenn sie das Haus betreten", meint die Literatur­tourismus-Expertin. "Denn hinter der Originalfassade verbirgt sich heute ein modernes Gebäude; der Rest wurde im Krieg zerstört."

Literaturreisende sind überwiegend weiblich, 40 bis 60 Jahre alt und haben einen gewissen Bildungshintergrund.

Raphaela Knipp

Überwiegend weibliche Fans

Wer aber ist die Zielgruppe für ­diese Publikationen und Reisen? Knipp hat in ihrer Arbeit typische Merkmale von Literaturtourist:innen ausgemacht: Sie seien überwiegend weiblich, zwischen 40 und 60 Jahre alt und hätten einen gewissen Bildungshintergrund. Auch Bach berichtet, dass in der Regel gebildete Menschen, beispielsweise Lehrer:innen, an den Reisen teilnehmen würden – und dass es im Schnitt deutlich mehr Frauen seien. Diesen Eindruck teilt Bernd Fischer: "Es sind auf jeden Fall mehr Frauen, die die Bücher auch gern sammeln und verschenken." Im Verhältnis seien zwei Drittel der Leser:innen über 50 Jahre alt.
 

Buchhandlungen inspirieren

Allerdings: "Auf der Leipziger Buchmesse gab es jetzt auch eine ganze Reihe jüngerer Interessierter", berichtet der Verleger. "In einem Jahr hat ein junges Paar sogar versucht, die ganzen Hefte vom Stand zu stehlen." Viele Menschen würden die Titel aber auch einfach in Buchhandlungen entdecken und dann – inspiriert von der Lektüre – unbedingt den vorgestellten Ort besuchen wollen. So finde eine gegenseitige Befruchtung statt: "Es ist uns gelungen, eine Art Synergie­effekt herzustellen zwischen Buchhandlungen und diesen – salopp gesagt – Personalmuseen", erzählt Fischer. Man könne etwa Tania ­Blixens ehemaliges Haus bei Kopenhagen besichtigen – "das ist vollständig erhalten und hat eine ganz tolle Atmosphäre. Da kommen Busladungen an, um sich das anzusehen. Die sehen dann das ausliegende Heft – und viele gehen später in den Buchhandel und finden dort weitere Ausgaben zu weiteren Orten, die sie entdecken möchten." Die Bücher laden dazu ein, "die Welt von Schreibenden in Bild und Text zu erkunden", urteilt die Jury, die der Edition A · B · Fischer gerade den mit 15.000 Euro dotierten Förderpreis der Kurt Wolff ­Stiftung zuerkannt hat.

Sehnsuchtsorte

Daneben gebe es auch einfach Reise­lustige, die dann "auf einmal in eine Entdecker-Euphorie verfallen". Hat das Verlegerpaar Fischer noch unentdeckte Sehnsuchtsorte? "Schon. Da wären die Häuser von Ernest Hemingway in Florida und Kuba – und dann natürlich Frida Kahlo in Mexico City", erzählt ­Fischer. "Gerade verhandeln wir, ob wir einen Band zu Günter Grass ­machen können – es geht immer weiter." 

Tipps für Touren

Antje Gerstenecker: »Der inoffizielle Jane Austen Reiseführer«, Bruckmann, Mai, 224 S., 19,99 €

Wolfgang Tarnowski: "Auf den Spuren von Thomas Mann", Ellert & Richter, 176 S., 19,95 €

Anneke Lubkowiz: "Rebellinnen zu Fuß. Auf den Spuren von elf literarischen Wanderinnen", Kein & Aber, August, 
400 S., 26 €

Marc Voltenauer, ­Benjamin Amiguet: "22 Krimi-Touren in Europa, die man gemacht haben muss", Emons, September, 240 S., 22 €

John Sutherland (Hrsg.): "Schauplätze der Weltliteratur", Ü: Andreas Schiffmann, Alan Tepper, Theiss in Herder, 256 S., 32 €

Monika Küble, Bonnie Mattes: "Mit Dante durch Italien. Ein literarischer Reiseführer zu den Orten des großen Dichters Dante Alighieri", Unterwegs Verlag, 250 S., 25 €

Lothar Müller: "Casanovas Venedig. Ein Reiselesebuch", Wagenbach, 132 S., 22 €