Wie weit sind die Mitglieder der Taskforce mit der Umstellung?

"Barrierefreiheit ist Work in progress"

18. Juni 2025
Sabine Cronau

Sind Sie fit für das Gesetz zur Barrierefreiheit? Mitglieder der Börsenvereins-Taskforce über den Stand der Dinge in ihren Unternehmen. Und über ihre Wünsche an die neue Marktüberwachungsbehörde, die gerade in Magdeburg aufgebaut wird.

Barrierefreiheit
Detlef Bauer

Detlef Bauer

Die Sensibilität für alle Themen rund um einen niedrigschwelligen Zugang zu Content wird uns erhalten bleiben und für beständige Veränderung sorgen.

Detlef Bauer, Libri

Am 28. Juni tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vollständig in Kraft. Ist die Arbeit der Taskforce dann getan?

Detlef Bauer, bei Libri Produktmanagement Metadaten & Suche

Die Zusammenarbeit in der Taskforce war für uns alle sehr bereichernd. Unser Dank gilt insbesondere Kristina Kramer vom Berliner Büro des Börsenvereins und Dana Minnemann vom Deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen, die uns Antrieb und Inspiration waren. Für uns in der IG Produktmetadaten haben sich neue Blickwinkel oder vielleicht sollte ich sagen neue Hör- und Tastwinkel eröffnet.

Diese Sensibilität für alle Themen rund um einen niedrigschwelligen Zugang zu Content wird uns erhalten bleiben und für beständige Veränderung sorgen. Ich würde mir wünschen, dass die Taskforce sich mit etwas Abstand zusammenfindet, um sich das Erreichte aus dem Abstand heraus anzuschauen und es zu bewerten.

Andrea Jäger, beim Linde Verlag Programmleitung Wirtschaftsrecht

Am 28. Juni 2025 tritt zwar das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vollständig in Kraft, die Arbeit der Taskforce ist damit allerdings noch nicht getan.

Der Börsenverein sowie die Mitglieder der Taskforce werden die Branchenmitglieder weiterhin bei der Umsetzung der benötigten Maßnahmen unterstützen. Der Austausch in den einzelnen Arbeitsgruppen sowie eine Zusammenarbeit mit internationalen Partnern wird auch zukünftig stattfinden.

Leitfäden werden an den aktuellen Stand angepasst und auch das Angebot an Weiterbildungen, Webinaren und Schulungen wird fortgesetzt. Wer auf dem aktuellen Stand bleiben möchte, kann sich auf der Homepage des Börsenvereins informieren, auch die dort erarbeiteten FAQS, eine Liste mit häufig gestellten Fragen, werden regelmäßig ergänzt und kuratiert.

Julia Schengber, Herstellerin bei Rowohlt

Ich glaube, dass es die Taskforce zumindest in einer längeren Übergangsphase “in den Betrieb” noch braucht. An Aktivitäten sehe ich in erster Linie die Kanalisierung von Brancheninteressen gegenüber der Marktüberwachungsstelle, den Austausch mit den Fachorganisationen im Medibus-Verband zum “Live-Betrieb” sowie die Pflege der bestehenden Leitfäden.

In diesem Zusammenhang kann nicht genug gewürdigt werden, dass diese Leitfäden auf ehrenamtlichem Engagement beruhen, und ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei allen Beteiligten für ihren Einsatz bedanken. Wie der Bedarf für die Arbeit der Taskforce darüber hinaus aussieht, muss sich zeigen.

Lena Hermann, Produktionsmanagerin der Thieme Gruppe:

Auf der einen Seite ist das Inkrafttreten des Gesetzes natürlich ein Meilenstein, auf den wir lange hingearbeitet haben. Auf der anderen Seite geht es jetzt erst so richtig los: Wie werden die Kund:innen reagieren, für die unsere Barrierefreiheitsmaßnahmen gedacht sind? Werden wir mehr Klarheit zum Umgang mit der Backlist erhalten? Wann und wie wird die Marktüberwachungsbehörde tätig werden?

Die Arbeit ist meiner Meinung nach keineswegs getan. Die Taskforce hat sich in den letzten Jahren zu einem großartigen Netzwerk entwickelt und bringt Medienschaffende, Mediennutzer:innen mit Einschränkungen und den Gesetzgeber auf Augenhöhe an einen Tisch. Ich wünsche mir, dass dieser Austausch uns noch sehr lange erhalten bleibt.

Julia Schengber

Julia Schengber

Beim Thema Barrierefreiheit wird es vermutlich noch eine Weile Bewegung geben, weil alle Beteiligten eine Lernkurve durchlaufen.

Julia Schengber, Rowohlt

Wird es bei Ihnen im Unternehmen noch hektisch bis zum Stichtag – oder ist das Projekt Barrierefreiheit intern längst abgeschlossen?

Detlef Bauer, Libri: 

Wie immer liegt noch ein kleines Stück Wegstrecke als Kraftanstrengung vor uns, aber das wird schon. Auch nach dem Stichtag werden wir uns mit optimierten Darstellungen von barrierefreiem Content beschäftigen. Man kann immer etwas besser machen. Das ist work in progress.

Andrea Jäger, Linde Verlag:

In unserem Unternehmen, der Linde Verlag Ges.m.b.H, einem juristischen Fachverlag, mit Sitz in Wien, beschäftigten wir uns bereits seit über 2 Jahren mit dem Projekt Barrierefreiheit, auch in Hinblick auf unsere Webseite, unseren Webshop und natürlich in Zusammenhang mit E-Books. Uns war und ist es besonders wichtig die einzelnen rechtlichen und technischen Zusammenhänge des barrierefreien Lesens zu verstehen, um diese in unserem Verlag bestmöglich umsetzen zu können.

Wir haben sowohl intern als auch mit externen Partnern einen sehr guten Austausch. Im Zuge dieser Kommunikation ist auch eine interne Task Force entstanden, bei welcher einzelne Arbeitsbereiche nach Fachgebieten aufgeteilt wurden. Das Projekt Barrierefreiheit ist daher in unserem Verlag noch nicht abgeschlossen, da wir an einer langfristigen und nachhaltigen Lösung arbeiten. 

Julia Schengber, Rowohlt:

Die erste Phase, in der es primär um die Beschaffenheit der epub-Dateien und die nötigen Prozessanpassungen ging, haben wir tatsächlich schon länger abgeschlossen. Zuletzt haben wir uns intensiv mit der Onix-Thematik auseinandergesetzt.

Von Hektik würde ich jetzt vielleicht nicht sprechen, aber die Tatsache, dass Empfehlungen und Informationen darüber, wie der Handel damit umgehen möchte, erst vergleichsweise spät vorlagen und teilweise auch immer noch in Entwicklung sind, stellt schon eine Herausforderung dar. In diesem Thema wird es vermutlich noch eine Weile Bewegung geben, weil alle Beteiligten eine Lernkurve durchlaufen.

Lena Hermann, Thieme:

Tatsächlich beschäftigen wir uns bei Thieme schon seit 2021 mit der Barrierefreiheit unserer Produkte. Als Fachverlag haben wir den Fokus schon früh auf TRIAS, unseren Ratgeberverlag gelegt. Das Programm richtet sich an ein breites gesundheitsinteressiertes Publikum und damit selbstverständlich auch an Menschen mit Behinderungen. Die Barrierefreiheit unserer Angebote ist Teil unserer Unternehmensmission, Informationen für eine bessere Medizin und mehr Gesundheit im Leben zur Verfügung zu stellen. Diese Mission zu erfüllen ist nur möglich, wenn wir gewährleisten, dass unsere Informationen für alle Menschen zugänglich sind.

Die Zugänglichkeit digitaler Produkte ist eng mit der angemessenen Aufbereitung und Strukturierung ihrer Inhalte verknüpft. Mit unserem etablierten XMLfirst-Content-Prozess haben wir bereits die denkbar beste Grundlage für Barrierefreiheit geschaffen, auf der wir in den letzten Jahren beständig weiter aufgebaut haben. Darum sind wir hier sehr gut aufgestellt und publizieren schon seit April 2024 barrierefreie ePubs.

Wir lehnen uns aber keineswegs entspannt zurück. Barrierefreiheit ist für alle Thieme-Produkte und Services in irgendeiner Weise relevant. Darum ist es mir sehr wichtig, dass das Thema unternehmensweit bei allen Prozessveränderungen und Produktentwicklungen mitgedacht wird. Dadurch verbessern wir die Nutzer:innenfreundlichkeit unseres Angebots insgesamt.

Andrea Jäger

Andrea Jäger

Unser Ziel war es, kompetente Partner an Bord zu haben, um auf das österreichische Barrierefreiheitsgesetz optimal vorbereitet zu sein.

Andrea Jäger, Linde Verlag

Wer oder was hat Ihnen bei der Umstellung besonders geholfen?

Detlef Bauer, Libri: 

Die solide Vorbereitung durch die Arbeit der Taskforce und die Kontinuität in den Arbeitsgruppen - das war sehr gutes Teamwork. Bei der Erarbeitung der Best Practices der IG Produktmetadaten zur Barrierefreiheit ist besonders Paul Gilius (3w+p), Manfred Muchenberger (Schweizerische Bibliothek für Blinde, Seh- &Lesebehinderte) und Nina Rubach (Bookwire) zu danken. Deren Arbeit ebnet uns den Weg zur Darstellung barrierefreier Produkte in den Online-Shops. Wir wollen die Kunden gut informieren, damit sie wissen, was sie bekommen.

Andrea Jäger, Linde Verlag:

Uns hat vor allem der der Austausch mit externen Dienstleistern, mit Agenturen und auch ein interner Wissensaustausch in den verschiedenen Abteilungen sehr bei der Umstellung geholfen. Unser Ziel war es, kompetente Partner an Bord zu haben, um auf das österreichische Barrierefreiheitsgesetz optimal vorbereitet zu sein

Julia Schengber, Rowohlt:

Ganz grundsätzlich hat die Vernetzung in der Taskforce wahnsinnig geholfen, dabei vor allem der Austausch mit dem dzb lesen oder blista. Bei der Buchpreis-dzb-lesen-Kooperation war es sehr hilfreich, konkret zu einzelnen Titeln eine Rückmeldung zu bekommen, die über automatisierte Prüfmechanismen hinausgeht.

Last but not least war die Informationsplattform auf der Barrierefreiheitsseite des Börsenvereins eine unverzichtbare Hilfe.

Lena Hermann, Thieme: 

Sehr hilfreich war der enge Austausch mit dem Kompetenzzentrum für digitale Barrierefreiheit an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Die dort gebündelte Expertise und die fundierten Schulungsangebote haben mein Verständnis für nachhaltige digitale Inklusion geschärft.

Mein Highlight in den letzten Monaten war allerdings die Zusammenarbeit mit den Interessensverbänden der Menschen mit Behinderungen. Zum Beispiel hat uns der regelmäßige Austausch mit der blista bei der Barrierefreiheit unserer ePubs extrem weitergebracht. Auch der sehr wertvolle Kontakt zum NIKOWerk in Stuttgart hat unser Verständnis für Menschen mit Behinderung und die Art und Weise, wie sie Medien nutzen, enorm vertieft. Im Austausch ist mir immer wieder aufs Neue bewusst geworden, wie wichtig das Gesetz ist, um die verfügbaren Medienangebote inklusiver zu machen. Ein Verständnis für die "Zielgruppe" und ihre Bedürfnisse zu schaffen ist, denke ich, eine der wichtigsten Aufgaben beim Thema Barrierefreiheit.

Lena Hermann

Lena Hermann

Ich würde mir wünschen, dass uns, so wie bislang die Bundesfachstelle in Berlin, künftig auch die Marktüberwachungsbehörde in Magdeburg beratend zur Seite steht.

Lena Hermann, Thieme

Was würden Sie sich von der zuständigen Bundesfachstelle in Berlin und / oder der neuen Marktüberwachungsbehörde in Magdeburg für die kommenden Monate wünschen?

Detlef Bauer, Libri: 

Der neuen Marktüberwachungsbehörde, die gerade aufgebaut wird, wünsche ich, dass sie gut im schönen Magdeburg ankommt. Diese Stadt ist ein guter Standort für eine Behörde, die die Arbeit von ehemals 16 angedachten Landesfachstellen nun zentral übernimmt. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Ein gemeinsames Austauschformat wäre ein guter Beginn.

Andrea Jäger, Linde Verlag: 

In Österreich ist die zuständige Stelle der Marktüberwachung das Sozialministerium. Zum einen würde ich mir wünschen, dass das Sozialministerium ab 28. Juni nicht sofort mit Abmahnwellen startet, den Verlagen noch eine gewisse Schonfrist gewährt wird, um das Angebot an die Barrierefreiheitsstandards anzupassen, zumal einige gesetzliche Bestimmungen noch einer genaueren juristischen Auslegung bedürfen.

Zum anderen würde ich mir seitens des Sozialministeriums auch eine Vermittlung von Expertenwissen sowie eine Zurverfügungstellung eines breitgefächerten Beratungsangebotes wünschen.

Julia Schengber, Rowohlt:

Ich wünsche mir von der Marktüberwachungsstelle die Bereitschaft gemeinsam pragmatische Lösungen zu finden, Antworten auf die offenen Fragen der Branche und Nachsicht, falls in der Anfangszeit noch nicht alles hundertprozentig rund läuft.

Lena Hermann, Thieme: 

Ich habe den Austausch der Taskforce mit der Bundesfachstelle immer als sehr produktiv und offen erlebt und wünsche mir natürlich, dass wir das so beibehalten und fortsetzen können. Im Hinblick auf das Inkrafttreten des Gesetzes würde ich mir wünschen, dass uns so wie bislang die Bundesfachstelle künftig auch die Marktüberwachungsbehörde in Magdeburg beratend zur Seite steht und so das bereits gewonnene Verständnis für unsere Branche und Produkte dort ebenfalls Fuß fassen kann.

BARRIERFREIHEIT

  • Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, im Juni 2022 verabschiedet, setzt den ­European Accessibility Act von Dezember 2019 um.
  • Ab dem 28. Juni 2025 müssen Webshops, E-Books und E-Reader barrierefrei gestaltet sein, damit Menschen mit Beeinträchtigungen sie ohne Abstriche mithilfe ­assistiver Technologien nutzen können.
  • Eine Taskforce des Börsenvereins bündelt seit 2020 die Expertise aus Verlagen, Buchhandel und Zwischenbuchhandel und entwickelt Lösungen für die gesamte Branche – zusammen mit Kolleg:innen aus Österreich und der Schweiz. Leitfäden, Tipps & Tools gibt es unter boersenverein.de/barrierefreiheit.
  • Termintipp: Am 27. Juni, dem bundesweiten Digitaltag, findet um 17 Uhr ein kostenloses Onlineseminar statt. Thema: "Barrierefreie E-Books – Einblick, Entwicklung und Nutzung". Mit Kristina Kramer (Börsenverein), Christina Pick / Hannes Frisch (Penguin Random House), Thomas Kahlisch (dzb lesen), Andrea Kate­mann (blista Marburg). Details: https://digitaltag.eu/aktion/barrierefreie-e-books-einblick-entwicklung-und-nutzung