Interview mit Sven Niklas zu Barrierefreiheit

"Immense Zahl an Anfragen"

17. Juni 2025
Sabine Cronau

Am 28. Juni tritt das Gesetz zur Stärkung der Barrierefreiheit vollständig in Kraft. Haben Behörden und Firmen ihre Hausaufgaben gemacht? Antworten von Sven Niklas, Referent bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit.

Catherine Blanche, Susanne Barwick, Kristina Kramer und Sven Niklas

Thema Barrierefreiheit auf der Frankfurter Buchmesse 2024: Sven Niklas im Gespräch mit Catherine Blache vom französischen Verlegerverband Syndicat national de l’édition. Im Hintergrund: Susanne Barwick (l). und Kristina Kramer vom Börsenverein.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz tritt am 28. Juni vollständig in Kraft. Sind Sie zufrieden mit dem Stand der Umsetzung – und ist speziell die Buchbranche engagiert bei der Sache?

Sven Niklas: Bisher können wir nur mutmaßen, wie der aktuelle Umsetzungsstand ist. Aus der Beratung der Bundesfachstelle Barrierefreiheit kann ich berichten, dass die Anzahl an Anfragen zu Umsetzungsinformationen immens ist. Demnach machen sich einige Unternehmen auf den Weg und wollen ihre Verpflichtungen sehr sorgfältig erfüllen. Insbesondere in der Buchbranche stellen wir eine weitreichende Bereitschaft zur Einhaltung dieses Gesetzes fest. Hier hat der Börsenverein und auch dessen Arbeitsgruppe/Task-Force Barrierefreiheit umfangreich aufgeklärt, informiert und sensibilisiert. Das könnte ein Vorbild für andere sein. Zahlreiche Veranstaltungen und Events des Börsenvereins haben zu diesem Thema eine sehr fundierte Grundlage geschaffen. Trotz der Vielfalt der Branche hat sich dabei eine hervorragende Qualität der Beratung gezeigt. Der inhaltliche Austausch und die Herangehensweise waren immer sehr zielgerichtet und fachlich diffundiert.  

Die Marktüberwachungsbehörde in Magdeburg soll rund um den 28. Juni ihre Arbeit aufnehmen.

Sven Niklas, Bundesfachstelle Barrierefreiheit

Haben auch die Behörden ihre Hausaufgaben gemacht? Sprich: Gibt es inzwischen entsprechende Kontrollinstanzen? Und wenn nicht: Wann wird es sie geben?

Sven Niklas: Dies obliegt der sich noch in Gründung befindenden gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde der Länder. Diese wird ihren Sitz in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) haben und die von Ihnen genannten Kontrollen durchführen. Wenn es die rechtlichen Vorgaben ermöglichen, wird die Behörde um den Stichtag 28. Juni ihre Arbeit aufnehmen. Dass sie bisher nicht in Erscheinung getreten ist, liegt an dem Prozess, an dem alle 16 Bundesländer mitwirken müssen. Inhaltlich kann die Behörde dann erst agieren, wenn sie final gegründet wurde. Auf der einen Seite wird sie die im BFSG genannten Produkte auf Barrierefreiheit testen und auf der anderen Seite wird sie stichprobenartig Dienstleistungen auf Barrierefreiheit testen. Die tiefergehende Ausgestaltung ihrer Tätigkeiten obliegt natürlich der Behörde selbst.

Für die Buchbranche gelten bestimmte Ausnahmeregelungen. Nun ist das, wie so oft, ein Stück weit Auslegungssache. Wie großzügig werden Sie diese Regelung handhaben? Könnten Sie Beispiele nennen?

Sven Niklas: Zunächst muss man erwähnen, dass diese Ausnahmeregelungen generell für das BFSG gelten. Dementsprechend kann sich die jeweilige Branche auf diese Regelungen beziehen. Inwiefern die Marktüberwachungsbehörde hier Einschätzungen vornehmen wird, bleibt selbstverständlich der Behörde selbst überlassen. Aus der bisherigen Beratungspraxis sind uns aber durchaus Beispiele geläufig, die klar machen, dass es immer wieder Fälle gibt, die technisch mit Sicherheit barrierefrei umsetzbar wären, aber dadurch tatsächlich Ihren Wesenscharakter verändern. Ein konkretes Beispiel möchte ich in der Form noch nicht benennen, denn die finale Einschätzung obliegt den Kolleginnen und Kollegen der Marktüberwachungsbehörde. Dies kann und wird mit ziemlicher Sicherheit auch immer wieder von Gerichten überprüft werden, daher sollten hierzu noch keine finalen Aussagen getroffen werden.

Wie können Sie gerade kleinere Unternehmen in der Übergangszeit noch unterstützen? Werden Webinare und andere Informationsangebote weiterlaufen?

Sven Niklas: Wir bieten als Bundesfachstelle eine Reihe von Informationsangeboten an. Neben Webinaren, die wir on demand über unsere Website zur Verfügung stellen, bieten wir branchenspezifische Sprechstunden an. Wir informieren intensiv via LinkedIn und haben dort inzwischen einen Newsletter zum BFSG. Zudem bieten wir zahlreiche Informationen über unsere Website an, unter anderem auch FAQ, die regelmäßig erweitert werden. Nach dem Stichtag wird die Bundesfachstelle ein kleines Team für die Beratung von Kleinstunternehmen vorhalten, welches sich federführend um die Anfragen dieser Unternehmen kümmern wird. Ergänzend bieten wir gemeinsame branchenspezifische Veranstaltungen an, bei denen wir ebenfalls informieren. Sie sehen, wir sind auch für die Zukunft gut aufgestellt.

Wird Barrierefreiheit in fünf Jahren noch ein Thema sein? Oder wird sie dann ganz selbstverständlich zum digitalen Alltag dazugehören?

Sven Niklas: Eine klare Antwort darauf kann man nicht ohne weiteres geben. Die Barrierefreiheit wird sich sicherlich deutlich weiterentwickelt haben und zu einem weiteren regulären Aufgabengebiet gehören. Durch ihre interdisziplinäre Ausgestaltung wird es sicher immer wieder neue Anknüpfungspunkte geben, die noch unbekannt oder neu zu betrachten, bewerten wenn nicht sogar zu regeln sind. Blicken wir auf unseren digitalen Alltag, so hat die digitale Barrierefreiheit bereits viele Fortschritte mit sich gebracht. Denken wir allein an die Erstellung von Untertiteln, die vielen Menschen audiovisuelle Informationen zugänglich machen. Hier sind beispielsweise durch künstliche Intelligenz viele Möglichkeiten geschaffen worden. Die Barrierefreiheit wird immer mehr ein fester Bestandteil unseres Alltags sein und zukünftig werden Unternehmen davon deutlich mehr profitieren als Unternehmen, die nicht auf die Karte Barrierefreiheit – und damit auf ihre Weiterentwicklung – setzen.