Alle reden mit
Was wäre, wenn sich ein Erfolgstitel von 1843 einen Programmplatz im Verlag von heute erobern müsste? Ein Szenario von Markus Klose.
Markus Klose ist Berater und Inhaber von Die gute Agentur
Was wäre, wenn sich ein Erfolgstitel von 1843 einen Programmplatz im Verlag von heute erobern müsste? Ein Szenario von Markus Klose.
Markus Klose ist Berater und Inhaber von Die gute Agentur
Der junge Autor schlägt vor, ein aufrüttelndes Werk über die Verhältnisse des Landes aufzulegen. Es sei an der Zeit, nach zukunftsfähigen Verhältnissen zu fragen, die Machtelite zu demontieren, als Aufruf für eine stabile demokratische Gesellschaft. Der Verleger sieht die Marktvoraussetzungen gegeben. Ein Debattenbeitrag, warum nicht? Nötig geradezu in der gegebenen Lage! Der Autor legt nach. Ihm sei Ironie wesentlich, so könne man die Situation pointieren. Schon ist der Verleger weniger glücklich. Ironie … Schwierig. Er schriebe es in Gedichtform, die Lyrik sei die beste aller Sprachverengungen. Der Verleger ist noch weniger glücklich. Und doch, "Deutschland. Ein Wintermärchen", erscheint 1843 bei Hoffmann und Campe.
Debattenbeiträge sind immer noch ein veritables Buchsegment. Und auch wenn die politischen Verhältnisse in den 1840er Jahren anders aussahen als jetzt, gibt es in heutiger Zeit ganz sicher ebenfalls Anlass für ein solches Buch. So argumentiert auch die Literaturagentur auf der Messe, als sie das Werk feilbietet. Topthema, brisant, Autor sehr vernetzt, Text fast fertig, Seller durch sich selbst, quasi. Ja, ja, sagt da die Programmkonferenz im großen Buchverlag, das Thema sei wichtig. Aber, darauf weist das Produktmanagement früh hin, mit der Lyrik sei so einfach das nicht, lange müsse man suchen bei MC Metis bis zu einem Gedicht.
Wer wäre die Zielgruppe?, fragt das Key-Account-Management.
Markus Klose
Bei der Vertreterkonferenz melden sich, das tun sie immer, die Damen und Herren aus Österreich und der Schweiz. In diesen beiden Ländern sähe es zwar anders, aber nicht besser aus, die Titelformulierung allerdings, die sich ganz auf Deutschland beziehe, schließe größere Verkäufe in Wien oder Luzern leider aus. Das Key-Account-Management meldet sich nach getaner Arbeit aus Hagen: Das Buch sei nicht eindeutig positioniert. Es sei ein politisches Sachbuch, eine Gedichtsammlung und laut Titel ein Märchen. Wo solle man das hinstellen? Ein Stapelplatz sei so nicht zu erringen. Wer wäre die Zielgruppe? Es sei weder Lyrik noch Debatte noch Märchen, sagt die Presseabteilung. Es sei doch die Darstellung einer Reise! Das könnte doch was sein ...
Das Metadatenmanagement findet das alles unerfreulich, keine einzige Thema-Klassifikation würde wirklich passen, ja, man könne mehrere vergeben, aber die Sichtbarkeit im Netz würde das sicher erschweren. Das Social-Media-Department meldet sich zu Wort. Erzählend solle er sein, der Titel; die kurze Verweildauer bei den Posts verlange nach schnellem Verständnis. Ironie im Titel sei schwer zu vermitteln ohne Emoji. Das Marketing wünscht sich eher eine sommerliche Überschrift, sie böte bessere Covermotive. Das Lektorat weist nun noch einmal darauf hin, dass es sich nicht nur um ein Reisebuch handelt. Es wird schließlich die Warengruppe Literatur. Denn es sei zwar ein Gedicht, ein kritisches Sachbuch und ein Reisebuch, aber eigentlich sei es zeitgenössische Literatur auf höchstem Niveau. Das Buch erscheint. Alle Aspekte wurden berücksichtigt.
Heinrich Heine: "Der DACH-Raum – Wir reisen durch den Sommer. So kann es nicht weitergehen! Roman"