Banned Books: Interview mit Helga Frese-Resch und Barbara Budrich

"Wir müssen alle mehr tun!"

16. Oktober 2025
Thomas Koch

"Banned Books" sind erst der Anfang: Helga Frese-Resch und Barbara Budrich über den Angriff auf die Meinungsfreiheit in den USA.

Protest gegen verbannte Bücher in den USA

Widerstand gegen verbannte Bücher: Proteste in den USA.

Wie blickt die deutsche Buchbranche auf die zunehmenden Eingriffe in die Publikationsfreiheit in den USA?

Helga Freese-Resch: Ich kenne niemanden, der nicht entsetzt ist über den systematischen Feldzug gegen alle Nicht-Sympathisant:innen. Die liberale Demokratie und erst recht die offene Gesellschaft werden in den USA gerade zerstört – und das geht erschreckend geräuschlos und rasend schnell vonstatten.  Die Folgen in den USA sind gravierend, und das für den gesamten Medienbereich: Die freie Presse als Kontrollinstanz wird demontiert, Sendern wird mit Schließungen bedroht, Satiriker und Kritiker:innen werden denunziert, Bücher nach Schlagworten durchleuchtet und entfernt und Verlage verklagt. Penguin Random House wurde gerade auf Schadensersatz in Höhe von 15 Milliarden Dollar (!!) wegen eines Trump-kritischen Buchs verklagt, die Klage aber in erster Instanz nicht zugelassen, das heißt noch hält die Justiz dem Irrsinn stand. Das sind alles Maßnahmen einer Autokratie, wenn nicht einer Diktatur. Wir schauen also gerade zu, wie eine der ältesten Demokratien durch "Gleichschaltung" umgebaut wird, und ich finde es schwer erträglich, dass die europäischen Regierungschefs und auch die deutsche Regierung Trump kritiklos umschmeicheln.

Die liberale Demokratie und erst recht die offene Gesellschaft werden in den USA gerade zerstört.

Helga Frese-Resch, Verlag Kiepenheuer & Witsch
Helga Frese-Resch

Helga Frese-Resch ist stellvertetende Verlegerin bei Kiepenheuer & Witsch in Köln und Co-Sprecherin der IG Meinungsfreiheit im Börsenverein.

Der Wissenschaftsbereich ist stark betroffen, welche Befürchtungen und Ängste lösen die Entwicklungen in den USA bei den deutschen Wissenschaftsverlagen aus?

Barbara Budrich: Wir sehen, wie in den USA auch im Wissenschaftsbereich zunehmend Druck ausgeübt wird: Von der Regierungslinie abweichende Einschätzungen und Haltungen werden genauso angegangen wie missliebige Forschungsfelder oder Forschungsergebnisse. Dabei gibt es nicht ein durchgängiges staatliches Narrativ, sondern es werden unterschiedliche Begründungen eingesetzt. Man denke nur an die Repressionen gegen die Columbia oder Harvard University, von denen in den Medien zu lesen war. Oder das Dekret zur Forschungsförderung von Trump, in dem offengelegt wird, dass Forschungsförderung aus politischen Gründen gewährt oder gestrichen werden kann. Schon seit seinem Amtsantritt wächst eine "banned word list", zahlreiche Forschungsvorhaben, die Wörter dieser Liste im Titel führen, sind gestrichen worden. Diese Liste ist kein zentrales Zensur-Werkzeug: Der PEN America hat sie auf der Basis von Aktivitäten unterschiedliche Behörden erstellt.

Der nächste logische Schritt auf dem Weg der Unterwerfung von Wissenschaft, Lehre und Forschung unter politische Interessen ist, auch Verlage stärker unter Beobachtung und letztlich staatliche Zensur zu stellen. Schließlich haben wir Wissenschaftsverlage viele Publikationen in unseren Programmen, die sich kritisch mit wichtigen gesellschaftlichen Themen befassen. An die deutsche Geschichte hat mich auch Trumps Dekret erinnert, das Bücher zwar nicht verbrannt, aber aus Bibliotheken verbannt – auch aus Bibliotheken auf US-Basen in Deutschland. Heinrich Heine sagte, "wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen". Und ja, das schürt Sorgen und Ängste.

Was können diese für den deutschen / europäischen Markt mittelfristig bedeuten? Besteht die Gefahr, dass ähnliche Entwicklungen auch bei uns eintreten?

Barbara Budrich: Wir sehen ähnliche Entwicklungen in ihren Ansätzen in Europa und leider auch in Deutschland. In Ungarn hat das "Lex CEU" der Regierung Orbán dazu geführt, dass die Central European University aus Budapest 2019 nach Wien umsiedeln musste. Oder hier in Deutschland: Landtagsfraktionen der AfD haben seit September 2018 in einigen Bundesländern digitale Plattformen eingerichtet. Dort sollen Lehrer:innen gemeldet werden, die vermeintlich gegen die AfD "indoktrinieren". Alice Weidel drohte vor der letzten Bundestagswahl, alle Gender-Professoren (!) zu entlassen, sobald die AfD an der Macht sei. In Rheinland-Pfalz stellte eine Abgeordnete der Freien Wähler eine Kleine Anfrage zum Thema "Critical Race Theory" bzw. "Postkoloniale Stuiden", die an Hochschulleitungen weitergegeben wurde. Sie verlangt dabei eine genaue Auflistung von Studiengängen, Personal und Fördermitteln und fragt, ob sich die "Landesregierung der möglichen Auswirkungen … auf die Gesellschaft bewusst sei". Versuche seitens der Politik, Druck auf Wissenschaft auszuüben sind nicht auf das ganz rechte Spektrum beschränkt. Dies wurde zum Beispiel 2024 auf Bundesebene bei der sogenannten Fördergeld-Affäre öffentlich. Es ging um Überlegungen im damaligen BMBF, Professor:innen aufgrund ihrer politischen Haltung ggf. Fördermittel zu entziehen. Mit anderen Worten: Auch in Europa, auch in Deutschland besteht Grund zur Sorge, weil es Versuche gibt, Wissenschaftsfreiheit einzuschränken!

Wie sieht es im Bereich der Publikumsverlage aus?

Helga Frese-Resch: Wenn Projekte nicht mehr gefördert werden, hat das bereits Auswirkungen auf Kunst und Literatur, das hat schon in Polen gut funktioniert, als kritische Mitarbeitende beispielsweise im Polish Book Institute ersetzt und damit nur noch regierungskonforme Inhalte unterstützt wurden.  Publikumsverlage sind als Wirtschaftsunternehmen eigentlich unabhängig, aber natürlich sind gerade kleinere Häuser auf Förderung angewiesen. Noch wichtiger sind die vielen Schreibprogramme, Stipendien, Preise und Auszeichnungen für Autorinnen und Autoren. Wie unabhängig ist unsere Kultur wirklich? Was würde passieren, wenn die AfD den Ministerpräsidenten in einem Bundesland stellt? Was ist dann dort mit den Theatern, mit den Literaturhäusern, mit den Sendern, mit Verlagen, mit der Presse? Wir müssen das für jede Institution durchdenken. Es geht nicht um konservativ oder progressiv, sondern es geht der AfD im Kern um einen staatlichen Umbau, und wie das geht, machen uns die USA gerade vor.

Auch in Europa, auch in Deutschlad besteht Grund zur Sorge.

Barbara Budrich, Verlag Barbara Budrich
Barbara Budrich

Barbara Budrich ist Verlegerin des Verlags Barbara Budrich mit dem Schwerpunkt Sozial- und Erziehungswissenschaften. Sie engagiert sich im Börsenverein und im Vorstand des europäischen Dachverbands FEP.

Welche Mechanismen sind nötig und könnten wir etablieren, damit so etwas nicht passiert?

Barbara Budrich: Es ist schwierig, weil die Förderung von Wissenschaft und Forschung notwendigerweise eine staatliche Aufgabe ist. So wird zum Beispiel das wissenschaftliche Publizieren in Deutschland und Europa mehr und mehr vom Wunsch nach Open Access und Open Science bestimmt. Alles möge kostenlos, offen und transparent für alle verfügbar sein. Viele Menschen glauben, dass darüber auch Unabhängigkeit und Wissenschaftsfreiheit garantiert seien. Schauen wir aber genauer hin, sehen wir, dass zunächst die Finanzierung der Forschung über Mechanismen gewährleistet sein muss, die eine direkte parteipolitische oder anderen Interessen gehorchende Einmischungen unmöglich machen. Dies betrifft die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie auch deren Veröffentlichung. Open Access kann sogar eine gewisse Gefahr beinhalten: Die Finanzierung von Open Access kann zwar – mit organisatorischem Aufwand – auch über Crowdfunding passieren, zumeist läuft sie aber über eine oder wenige öffentliche Stellen, zumeist staatliche Forschungsförderung oder wissenschaftliche Bibliotheken, die ebenfalls aus Steuermitteln finanziert werden. Anders als bei der Re-Finanzierung von Büchern und Zeitschriften über den Verkauf einzelner Exemplare oder Abonnements gibt es bei der Finanzierung von Open Access zumeist nur einen bzw. wenige Finanzierer. In diesem Kontext ist es wichtig, den politischen Einfluss auf die Mittelvergabe zu minimieren.

Wir brauchen also: Klare, geschützte Strukturen, aber auch Haltung – und zwar sowohl in allen Bereichen der Zivilgesellschaft als auch in Wissenschaft und Politik. Wir brauchen starke Verbände, die neben der eigenen Interessenvertretung auch immer die Interessen der Demokratie vertreten, sich für Meinungs-, Presse-, Wissenschaftsfreiheit und Pluralismus einsetzen.

Was kann der Börsenverein angesichts dieser Entwicklungen tun?

Helga Frese-Resch: Eins steht fest, wir müssen alle mehr tun als bisher. Die Buchbranche ist, bis auf verhältnismäßig wenige Ausnahmen, ein Ort der Glückseligen, wir sind uns doch schnell einig, dass demokratische Werte und die offene Gesellschaft nicht verhandelbar sind. Staatsminister Weimer ist Teil der Bundesregierung, ihn muss man als Bindeglied zur Kultur konkret in die Pflicht nehmen. Hinsichtlich der USA könnten die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen befragt werden, was sie zur Unterstützung brauchen, es sollte eine stetige Dokumentation der Repressionen und der Zensurversuche geben, nicht nur in den USA, die dann im Börsenblatt veröffentlicht wird, wir könnten zensierte Bücher auf den Buchmessen ausstellen und die Diskussionsforen nutzen, um gemeinsam Strategien zu entwickeln. Und wir dürfen Politiker:innen, die sich auf den Buchmessen ja gerne als buchaffin präsentieren, nicht nur den roten Teppich ausrollen, sondern wir müssen ihnen klar sagen, dass es jetzt drauf ankommt.