Karin Schmidt-Friderichs studiert bald Stiftungsmanagement

"Ich liebe die Energie des Anfangs"

15. Oktober 2025
Sabine Cronau

Es ist ihre letzte Buchmesse als Vorsteherin: Nach sechs Jahren legt die Mainzer Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs ihr Amt an der Spitze des Börsenvereins in neue Hände – so wie auch den Mainzer Hermann Schmidt Verlag. Ein Interview über Abschied, Neuanfang und Schwarm-Intelligenz.

Viele Bretter, die wir bohren müssen, sind erheblich dicker als gedacht, vor allem in der politischen Arbeit.

Karin Schmidt-Friderichs, scheidende Vorsteherin des Börsenvereins

Blicken Sie nach sechs Jahren als Vorsteherin anders auf den Verband als zu Beginn Ihrer Amtszeit 2019?

Ja. Als ich damals bei den Buchtagen Berlin gewählt wurde, dachte ich, dass ich den Börsenverein schon kenne, etwa durch meine Arbeit im Ausschuss für Berufsbildung. Aber dann war ich als Vorsteherin deutlich näher am Maschinenraum und mein Respekt vor dem, was im Verband geleistet wird, ist noch einmal deutlich gewachsen.

Viele Bretter, die wir bohren müssen, sind erheblich dicker als gedacht, vor allem in der politischen Arbeit. Hier Gehör für die Belange der Branche zu finden, erfordert sehr viel Geduld und Vermittlungsarbeit. Zumal die jüngere Politiker-Generation eher digital unterwegs ist.

Welchen Tipp können Sie Ihrem Nachfolger Sebastian Guggolz geben – den Sie vielleicht selbst am Anfang Ihrer Amtszeit 2019 gern bekommen hätten?

Die Komplexität der Verbandsstruktur ist nicht zu unterschätzen! In meinem Büro daheim steht eine Pinnwand, auf der ich im Lauf der Zeit alle Funktionen und Verantwortlichkeiten nach und nach festgehalten habe. Und immer wenn ich dachte, dass ich fertig bin, kam noch ein weiterer Aspekt, ein weiteres Gremium hinzu.

Wie ist das Verhältnis zwischen dem Börsenverein und seinen Wirtschaftstöchtern, welche Rolle spielt der Aufsichtsrat der Börsenvereinsholding: Nur wer die Zusammenhänge durchschaut, kann am Ende etwas bewegen. Denn genau darin sehe ich die Aufgabe des Ehrenamts: Den Blick von außen einzubringen und Neues anzustoßen.

Würden Sie Sebastian Guggolz Ihre Pinnwand überlassen?

Das kann ich gerne machen (lacht) – einiges habe ich mittlerweile aber schon abgehängt. Dafür habe ich Sebastian Guggolz neulich in einem längeren Telefonat versprochen: Ich stehe hinter Dir, und nicht im Weg.

Viel Zeit hat er nicht, um sich warmzulaufen: Auf der Buchmesse sitzt er bereits mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer in einer Podiumsrunde, direkt nach der Messe fährt er mit Friedenspreisträger Karl Schlögel zur traditionellen Lesung nach Leipzig. Aber er wird das alles wunderbar hinbekommen.

Nun beginnt ein neuer Abschnitt: Ich starte im Februar mit einem Aufbaustudium für Stiftungsmanagement an der European Business School im Rheingau.

Karin Schmidt-Friderichs

Fühlen Sie sich als "Altvorsteherin"? Und werden Sie sich weiter im Verband einbringen, nur an anderer Stelle?

Es ist das Glück meines Lebens, dass ich als gelernte Architektin über den Verlag meines Mannes in die Buchwelt gekommen bin. Und ich weiß: Als Quereinsteigerin so offen aufgenommen zu werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Da ist unsere Branche schon etwas Besonderes. Deshalb blicke ich voller Demut und Dankbarkeit auf die vergangenen 33 Jahre zurück.

Doch nun beginnt ein neuer Abschnitt: Ich starte im Februar mit einem Aufbaustudium für Stiftungsmanagement an der European Business School im Rheingau. Von daher bin ich nach dem Studium wohl lieber eine Neu-Stiftungsvorständin als eine Altvorsteherin. Aber im Herzen bleibe ich der Branche treu.

Die Corona-Pandemie hat Ihre Arbeit als Vorsteherin kurz nach Amtsantritt ins Digitale verbannt. Auch der neue Vorsteher wurde Ende September in einer digitalen Hauptversammlung gekürt. War das die richtige Entscheidung?

Jein. Im digitalen Raum fehlt einfach die persönliche Verbundenheit. Natürlich hätte ich meinen Nachfolger Sebastian Guggolz nach der Wahl gerne umarmt, so wie mir im Juni 2019 bei den Buchtagen Berlin viele Kolleginnen und Kollegen gratuliert haben. Aber: Es gibt auch gute Gründe, warum die Hauptversammlung jetzt später im Jahr und digital tagt.

Die Online-Form spart Reisekosten und Zeit, schließlich müssten Mitglieder aus ganz Deutschland anreisen. Und früher haben die Mitglieder das Budget für das nächste Jahr im Juni beschlossen, obwohl der Jahresabschluss für das Vorjahr noch gar nicht fertig war. Ein Termin im vierten Quartal ist deshalb erheblich sinnvoller. Ich denke: Drei, vier Stunden am Bildschirm sollte jeder für seine Interessenvertretung und die Verbandsdemokratie übrighaben.

Veröffentlichen hat mit Verantwortung zu tun. Das muss auch für Tech-Konzerne gelten.

Karin Schmidt-Friderichs

Wenn Sie auf die vergangenen sechs Jahre zurückblicken: Was konnten Sie von Ihrer Agenda umsetzen – und was hätten Sie gerne noch gemacht?

Ich führe gerne To-Do-Listen - und mache vor allem gerne Haken dahinter. Und nach den vergangenen sechs Jahren habe ich das Gefühl, dass vieles auf der Agenda abgehakt ist. Zu meinen Herzensprojekten gehört das Nachwuchsparlament, heute Zukunftsparlament. Einige hatten damals die Befürchtung, wir holen uns damit "die Revolution ins Haus". Neue Impulse sind ja aber gerade wichtig für uns als 200 Jahre alten Verband! Und es zeigt sich, dass wir auf diese Weise viele junge engagierte Menschen an den Verband heranführen. Deshalb freue ich mich auch so, dass wir in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse zum ersten Mal eine Silberne Nadel vergeben, für junges ehrenamtliches Engagement statt für ein Lebenswerk.

Alles in allem haben wir im Vorstandsteam versucht, unser Handeln an der Mitgliedernähe und am Mitgliedernutzen auszurichten. Und ich denke, das ist uns gemeinsam mit dem Hauptamt auch gelungen. Unsere größte Herausforderung wird allerdings auch den neuen Vorstand intensiv beschäftigen: Künstliche Intelligenz mit all ihren Chancen und Gefahren. Ich finde es absurd, dass jede Schülerzeitung einen Verantwortlichen im Sinne des Presserechts haben muss, während Google oder Meta machen können, was sie wollen. Veröffentlichen hat mit Verantwortung zu tun. Das muss auch für Tech-Konzerne gelten.

Die IG Digital ist ein gutes Beispiel dafür, wie sinnvoll die Gründung der Interessengruppen war.

Karin Schmidt-Friderichs

Vor sechs Jahren haben Sie in einem Börsenblatt-Interview zum Auftakt Ihrer Amtszeit gesagt, dass Sie sich im Verband eine Digital-Abteilung wünschen würden, die den Mitgliedern zur Seite steht, als Pendant zur Rechtsabteilung…

Das stimmt, aber dafür ist der digitale Markt einfach zu sehr in Bewegung. Die beratende Funktion sehe ich heute eher bei der IG Digital, die eine unglaubliche Entwicklung hinter sich hat. Sie ist ins Zentrum des Börsenvereins gerückt und zusammen mit dem Digitalen Wissens-Hub zum Ratgeber der Branche geworden. Die IG Digital ist ein gutes Beispiel dafür, wie sinnvoll die Gründung der Interessengruppen war. Sie übernehmen eine wichtige Rolle als Impulsgeber im Verband.

Der Börsenverein hat immer weniger Mitglieder und damit auch weniger Budget: Bleibt da eigentlich noch viel Handlungsspielraum für den neu gewählten Vorstand?

Ganz klar: Der neue Vorstand muss sich fokussieren. Und ich bin sehr froh darüber, dass sich Klaus Gravemann als Schatzmeister für den Flextarif eingesetzt hat, den die Hauptversammlung im vergangenen Jahr beschlossen hat und mit dem die Mitgliedsbeiträge an die Inflation gekoppelt werden. Das sorgt für Planungssicherheit.

Ihr schönster Moment in den vergangenen sechs Jahren?

Davon gibt es unendlich viele. Aber ganz besonders in Erinnerung bleibt mir sicher die Begegnung mit Friedenspreisträger Salman Rushdie, diesem von mir sehr bewunderten und durch das Attentat zugleich verwundeten Menschen. Wir tauschen uns immer noch regelmäßig aus.

Ebenfalls einmalig: Anfang 2020 war ich bei einem Empfang des Bundespräsidenten eingeladen und hatte dabei auch die Gelegenheit, ein paar Minuten persönlich mit ihm zu sprechen. Weil gerade eine sehr laute Band im Schloss Bellevue spielte, mussten wir uns ins Ohr schreien. Wange an Wange mit dem Bundespräsidenten, das werde ich wohl nie vergessen. Zumal Frank-Walter Steinmeier im selben Jahr auch zusagte, bei der Friedenspreisverleihung 2020 die Laudatio auf Amartya Sen zu halten.

Mein schlimmster Moment? Drei Jahre hintereinander nach Leipzig zu reisen, ohne dort eine Buchmesse eröffnen zu können.

Karin Schmidt-Friderichs

Gab es auch einen schlimmsten Moment Ihrer Amtszeit – den Sie hier verraten können?

Ja, drei Jahre hintereinander nach Leipzig zu reisen, ohne dort eine Buchmesse eröffnen zu können. Für jemanden wie mich, die den Messetrubel genießt, war das sehr deprimierend. Die Stadt wirkte, als hätte man ihr das Herz herausgerissen. Umso schöner, dass die Tickets für den Buchmesse-Samstag im Frühjahr 2025 sogar limitiert werden mussten! Erst im Gedränge merkt man, wie gespenstisch die Corona-Jahre waren.

Die letzte Buchmesse als Vorsteherin: Gibt es ein persönliches Highlight im Kalender?

Alles, von Montag bis Sonntag! Es ist sehr, sehr schön, dass die Amtszeit als Vorsteherin mit so diesem furiosen Finale endet. Und ich freue mich, dass Sebastian Guggolz bei ganz vielen meiner Termine dabei sein wird.

Gelegenheit für eine Botschaft: Was möchten Sie den Kolleginnen und Kollegen in der Branche zum Abschied ans Herz legen?

Die Herausforderungen werden eher größer als kleiner. Das lässt sich nur meistern, wenn die Partikularinteressen, so berechtigt sie auch sein mögen, hinter dem Gesamtinteresse der Buchbranche zurücktreten.

Durch meine Amtszeit hat mich das Bilderbuch "Swimmy" von Leo Lionni begleitet, das ich schon als Kind sehr mochte: Es erzählt von einem kleinen Fisch, der eine Idee hat. Wenn alle kleinen Fische im Schwarm schwimmen und einen großen Fisch nachbilden, sind sie gemeinsam stark und unangreifbar.

Die Mitglieder des Börsenvereins haben 200 Jahre lang bewiesen, dass sie zusammenstehen können – und können das hoffentlich auch weiter.

Wir haben immer gedacht, dass es kein Mindesthaltbarkeitsdatum fürs Verlegen gibt, solange wir unsere Zielgruppe erreichen. Jetzt denken wir: Es ist genug.

Karin Schmidt-Friderichs

Nicht nur Ihre Amtszeit als Vorsteherin endet – sondern auch die Zeit als Verlegerpaar: Sie und Ihr Mann Bertram suchen eine Nachfolge-Lösung für den Mainzer Hermann Schmidt Verlag. Warum?

Mein Mann, der nach dem Abitur Schriftsetzer gelernt hat, steht bald 50 Jahre im Dienst der schönen Bücher. Im Mai hatte er einen schweren Herzinfarkt. Zwar beeindruckt er seinen Kardiologen heute mit sehr guten Werten, trotzdem hat sich dadurch einiges verändert.

Wir haben immer gedacht, dass es kein Mindesthaltbarkeitsdatum fürs Verlegen gibt, solange wir unsere Zielgruppe erreichen. Jetzt denken wir: Es ist genug – zumal eine Nachfolge nicht vom Himmel fällt und wir die Suche ohne Zeitdruck angehen wollen. Wir hatten großes Glück, tolle Autor:innen, ein wunderbares Team. Jetzt darf der Verlag neue Kapitel aufschlagen, so wie wir auch. Ich liebe die Energie des Anfangs.