Jubiläumstagung des Börsenvereins

"So einen Kongress hat die Buchbranche noch nicht erlebt"

9. Juni 2025
Redaktion Börsenblatt

Sebastian Fitzek brachte ein Versprechen mit, Robert Habeck eine Warnung, Denis Scheck ein echtes Streitthema - und Martin Andree rief zum Sturm auf die digitale Bastille: Der Jubiläumskongress zum 200. Geburtstag des Börsenvereins war eine Bühne für neues Denken. Hier finden Sie Bilder, Berichte und Impulse aus den Berliner Wilhelm Studios, wo die Branche am 5. und 6. Juni getagt und gefeiert hat.

Impressionen

Neue Kapitel, neue Kontakte: Das Mitgliederfest

Vorsteherin Karin-Schmidt-Friderich

Ohne Sie, die Mitglieder, wäre der Verein ein Buch ohne Seiten, ein Rahmen ohne Inhalt.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins

Die Vorsteherin eröffnet den Kongress

Man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen – aber auch mit dem Besten: Das machte Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs in ihrer Eröffnungsrede zum großen Jubiläumskongress in Berlin deutlich. Von Bürokratiemonstern wie der Entwaldungsverordnung über den Content-Klau durch große Tech-Konzerne bis zur Verödung der Innenstädte: Die Vorsteherin sprach über die vielen Herausforderungen, vor denen Verlage und Buchhandlungen derzeit stehen. Sie nutzte die Gelegenheit aber auch für ein großes Dankeschön an die Mitglieder: "Ohne Sie wäre der Verein ein Buch ohne Seiten, ein Rahmen ohne Inhalt" (hier geht’s zur Rede im Wortlaut).

Der Verband habe sich dafür entschieden, mit dem Kongress zum 200. Geburtstag nicht die Vergangenheit zu feiern, sondern die Zukunft auszuloten - "und mit Ihnen gemeinsam neue Kapitel aufzuschlagen. Wege zu suchen, zukunftsgerichteten Nutzen zu schaffen und jedem Mitglied etwas Handfestes mitzugeben," so die Mainzer Verlegerin, deren Amtszeit im Herbst endet.

Für die Vorsteherin steht fest: "Einen solchen Kongress hat die Buchbranche noch nie erlebt!" Dafür sorgen unter anderem knapp 100 Referent:innen und Podiumsgäste, die auf vier Bühnen Denkanstöße geben, Thesen diskutieren und Best-Practice-Beispiele vorstellen.

Blick an Zuhörern vorbei auf Robert Habeck am Rednerpult des Kongresses "Neue Kapitel"

Robert Habeck

Strukturförderung ist Ihr gutes Recht, doch widerstehen Sie dem Wunsch, eine staatliche Förderung für Ihre Branche zu fordern. Sie wissen nicht, wer diesen Staat führen wird.

Robert Habeck, Grünen-Politiker und ehemaliger Vizekanzler

Robert Habeck bringt Glückwünsche mit

Prominenter Auftaktredner war Grünen-Politiker Robert Habeck, den Karin Schmidt-Friderichs schon für die Buchtage 2020 angefragt hatte – bevor die Pandemie die Welt veränderte. Im Herbst 2024 ging dann die zweite Anfrage an Habeck raus, damals noch Vizekanzler. Die Ampelkoalition war gerade geplatzt, die Zukunft der geschäftsführenden Minister:innen unsicher, das Timing für eine Anfrage nicht gerade optimal. Habeck sagte trotzdem zu. 

Der Politiker, selbst Autor, wollte vor allem ein "Geburtstagsständchen" halten. Ganz ohne Problemanalyse kam er dann aber doch nicht aus. So mahnte er, die inhaltliche Unabhängigkeit der Branche durch den Ruf nach einer allzu weitreichenden staatlichen Unterstützung nicht zu gefährden: "Strukturförderung ist Ihr gutes Recht, doch widerstehen Sie dem Wunsch, eine staatliche Förderung für Ihre Branche zu fordern." Allgemeine Hilfen sei gut und wichtig, doch Staatsferne sollte geboten sein – "Sie wissen nicht, wer diesen Staat führen wird." Hier lesen Sie mehr.

Denis Scheck erhält den Friedrich-Perthes-Preis und schaut überrascht

Da schaut sogar ein Denis Scheck überrascht: Die Vorsteherin überreicht den neuen Friedrich-Perthes-Preis

Lesen ist entgegen eines landläufigen Missverständnisses nicht Wellness.

Denis Scheck, Literaturkritiker

Denis Scheck bekommt den Friedrich-Perthes-Preis

Diversität, Nachhaltigkeit, Innenstadtverödung, Künstliche Intelligenz: Den ganzen Tag über wurde auf den Podien und im Workshopraum über aktuelle Themen der Branche diskutiert. Mehr dazu hier.

Der erste Kongresstag endete mit einer Ehrung: Literaturkritiker Denis Scheck ist vom Börsenverein mit dem neu konzipierten Friedrich-Perthes-Preis ausgezeichnet worden. Seine Dankesrede, die um das Wort "Lesewut" kreiste, hielt Scheck wie gewohnt mit Witz und Furor. Lesewut - das ist für ihn nicht nur das entgrenzte Lesen, sondern auch die Wut, die beim Blick auf die Wirklichkeit entsteht: 

"Wer Charles Dickens, Imre Kertesz, Toni Morrison oder Herta Müller liest, gelangt schnell zu Überzeugung: So kann es, so darf es, soll es nicht zugehen auf der Welt. Diese meine Wut auf die Unzulänglichkeiten unserer Gegenwart, den Defiziten im Hier und Jetzt, kann sich auf Phänomene wie das Artensterben und den Klimawandel, Geschlechterrollen oder Besitzverhältnisse richten. 

Auf den Umstand, dass zur Zeit im Kreml ein mörderischer Krimineller und Kriegsverbrecher und im Weißen Haus ein Gauner, Betrüger und Schwindler sitzen. Auf den neuen alten, alten neuen Antisemitismus. Auf Homophobie, Klassismus und Chauvinismus."

"Gewaltige Lesewut" löst bei Scheck auch der Hype um Romantasy und New Adult aus. Er gönne Verlagen und Buchhandlungen die Umsätze im New Adult Genre: "Aber nur keine falsche Versöhnlichkeit in Sachen Literatur und Kritik! Ebenso wenig wie sich Gastrokritik nach dem Motto ´Hauptsache, es wird gegessen!´ betreiben läßt, kann man Literaturkritik auf ein Fundament `Lesen, lesen, lesen - egal was!` stellen."

Sein Appell: "Energisch vorangetriebene literaturkritische Abrissarbeit" gegen das Abgeschmackte, gegen Kitsch und Klischees. Lesen, so Scheck, "ist entgegen eines landläufigen Missverständnisses nicht Wellness."

Die pointierte Rede (hier im Wortlaut) zahlte voll und ganz auf die Preis-Begründung ein: Als eine der wichtigsten Stimmen der Literaturvermittlung verbinde Denis Scheck fundierte Kritik mit großer Lust am Debattieren, so Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs im Vorfeld der Ehrung: "Mit Leidenschaft, Schärfe und Stil bringt er Bücher ins Gespräch und leistet damit einen enormen Beitrag für die Buchkultur."

Lichtdurchflutet und denkmalgeschützt: die ehemalige Eisengießerei

Coole Kaffeepause

Ganz entspannt: Zwischenbuchhändler Stefan Könemann und Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff (r.) neben der Vorsteherin  

550 Kongressteilnehmer kamen in die Wilhelm Studios

Zwischenruf: Diskutiert wurde beim Kongress nicht nur in den Pausen

Selfie-Time mit Robert Habeck

Teilnehmer des Kongresses "neue Kapitel" melden sich am Counter an

Teilnehmer des Kongresses melden sich am Counter an 

Gesamtansicht Auditorium und Bühne des Kongresses "Neue Kapitel" mit Fischauge-Objektiv aufgenommen

Auditorium und Bühne des Kongresses "Neue Kapitel"

Warten auf den Eröffnungsredner... 

Vor der Hauptbühne in den Wilhelm Studios

Der Schauplatz des Kongresses ist wie gemacht für eine Branche, die sich immer wieder neu erfindet: Denn eine Transformation hat auch die alte Eisengießerei Winkelhoff im Berliner Norden hinter sich. Die denkmalgeschützten Hallen in der Kopenhagener Straße sind heute eine gefragte Location für Tagungen und Events.

Rund 550 Teilnehmer:innen haben sich für den Kongress des Börsenvereins angemeldet, der unter dem Motto "Neue Kapitel" steht und parallel drei Bühnen und einen Workshopraum bespielt. Zum Kongressprogramm geht es hier. 

Alles fertig für den Kongress: Das Börsenvereinsteam, kurz vor dem Auftakt